Bannerbild | zur StartseiteBannerbild | zur StartseiteBannerbild | zur StartseiteBannerbild | zur StartseiteBannerbild | zur StartseiteBannerbild | zur StartseiteBannerbild | zur Startseite
Link zur Seite versenden   Ansicht zum Drucken öffnen
 

Nachbericht Vortrag Festsitzung des Patenschaftsrates

19. 08. 2024

Karl-Heinz Meier-Braun 
Vortrag bei der Festsitzung des Patenschaftsrates und des Heimatausschusses Wendlingen am Neckar
Samstag, 20. Juli 2024, 14.00 Uhr
 

Ein Koffer voller Hoffnung
Heimatvertriebene haben einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau des Landes geleistet

Heimatvertriebene prägen Baden-Württemberg


Es hält sich die Legende, Heimatvertriebene und Flüchtlinge seien rasch integriert worden. In Wirklichkeit waren sie keineswegs gleich willkommen, vielmehr Anfeindungen und Vorurteilen ausgesetzt.

Der «Mythos der schnellen Integration» der Heimatvertriebenen ist auf jeden Fall längst widerlegt. Vielmehr war Deutschland für viele Flüchtlinge eine «Kalte Heimat», wie eine Untersuchung überschrieben ist. Auch die Heimatvertriebenen haben ihre Zeit - mehrere Generationen - gebraucht, um sich zu integrieren.
Durch die Zwangsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg, die es bis dahin in dieser Dimension so nicht gegeben hatte, änderte sich die Zusammensetzung der Bevölkerung in Südwestdeutschland in allerkurzer Zeit grundlegend. 

Man kann sogar sagen: seit dem Dreißigjährigen Krieg, seit Mitte des 17. Jahrhunderts, haben sich die Bevölkerungsverhältnisse und somit die politischen wirtschaftlichen, sozialen und konfessionellen Verhältnisse und Verwaltungsstrukturen im Südwesten nicht mehr so stark verändert haben, wie durch die Aufnahme von hunderttausenden von Flüchtlingen und Vertrieben nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren hatten und in Süddeutschland Zuflucht suchten, legten ihr politisches Gewicht entscheidend in die Waage, als sie bei der Abstimmung für den Südweststaat 1951 den Ausschlag gaben, sozusagen als Zünglein an der Waage, indem sie für die Entstehung von Baden-Württemberg stimmten.

Ohne die Heimatvertriebenen hätte es das Bundesland Baden-Württemberg unter Umständen gar nicht gegeben.
Schließlich haben sie auch dafür gesorgt, dass in Artikel 2 der Landesverfassung ein unveräußerliches Menschenrecht auf Heimat aufgenommen wurde.
Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, das ein solches Recht in der Verfassung verankert hat.

Insgesamt wanderten 1,6 Millionen Heimatvertriebene nach Südwestdeutschland ein, was fast 21 Prozent der Bevölkerung ausmachte.
Die Einwohnerzahl mancher Gemeinden verdoppelte sich sogar.


Arbeitsmigration verändert das Land

Die Anwerbung der sogenannten Gastarbeiter war ein ähnlich entscheidender Einschnitt in die deutsche Nachkriegsgeschichte, wie die Aufnahme der Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Durch die Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, Portugal und Jugoslawien, aber auch mit Marokko und Tunesien, schließlich auch durch die Aufnahme von Geflüchteten, wurde Deutschland zum Einwanderungsland.

Von 1955 bis zum Anwerbestopp 1973 kamen 14 Millionen Arbeitsmigranten und -migrantinnen nach Deutschland, 11 Millionen kehrten im gleichen Zeitraum wieder zurück.

In Baden-Württemberg haben heutzutage rund 3,4 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund. Rund ein Drittel der Bevölkerung hat damit ausländische Wurzeln. Würde man die Heimatvertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg hier Zuflucht fanden, dazu rechnen, hätte fast die Hälfte der Bevölkerung einen Migrationshintergrund.

Durch die Arbeitsmigration hat sich das Land noch einmal grundlegend verändert, hin zu einer multikulturellen Gesellschaft. Allerdings hat Deutschland ein halbes Jahrhundert lang in der Lebenslüge gelebt, es sei kein Einwanderungsland. Die Politik hat es versäumt, die Realität, die durch die Millionen und Arbeitskräften und ihre Nachkommen entstanden ist, anzuerkennen. Im Gegensatz zu den Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde den sogenannten Gastarbeitern und ihren Familien viel zu spät Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse angeboten oder die Einbürgerung und die damit verbundenen politischen Rechte erleichtert. Es rächen sich heute noch Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit.


Baden-Württemberg wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Zuwanderung geprägt und hat davon profitiert
Die Zuwanderung nach Baden-Württemberg ist alles in allem eine Erfolgsgeschichte, eine Bereicherung, geradezu ein Glücksfall, auch im Blick auf die demografische Entwicklung. Die Zukunftsperspektive nicht nur für Baden-Württemberg sieht so aus: „Älter, weniger und bunter“. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung brauchen wir Zuwanderung.

Deutschland befindet sich eigentlich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einem ständigen Prozess der Integration neuer Bevölkerungsgruppen. Nach der Integration von Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen folgte die Integration von Arbeitsmigrantinnen und -migranten und ihrer Familien, von Spätaussiedlern, von Geflüchteten, die über das Asylrecht Schutz bei uns gefunden haben.

Baden-Württemberg, Deutschland insgesamt, ist ein Land und eine Gesellschaft mit umfangreichen Integrationserfahrungen, ein Einwanderungsland, ein Integrationsland, das sich international sehen lassen kann.
Die Aufnahme von Geflüchteten wird auf Dauer eine Herausforderung für das Land bleiben, solange Fluchtursachen wie Kriege, Bürgerkriege und Menschenrechtsverletzungen sich eher verschärfen, als dass sie beseitigt werden. Die Zahl der Vertriebenen ist weltweit jetzt erneut gestiegen und hat ein historisches Hoch erreicht. Weltweit wurden 120 Millionen Menschen vertrieben, das ist mehr als die Bevölkerungszahl von Deutschland, Österreich, der Schweiz und der Niederlande zusammen. Dabei bleiben die meisten Geflüchteten in den eigenen Ländern oder Nachbarländern, meist die ärmsten der armen Länder der Welt und machen sich nicht „auf den Marsch“ nach Europa.

 

Kurzvita
Prof. Dr. Karl-Heinz Meier-Braun (www.meier-braun.de) ist baden-württembergischer Landesvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (DGVN), Mitglied im Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart (ifa) und im Kuratorium beim Forum der Kulturen Stuttgart.  Er ist Migrationsexperte, Honorarprofessor an der Universität Tübingen und Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Migration und Integration. Lange Jahre war er Redaktionsleiter und Integrationsbeauftragter des Südwestrundfunks (SWR). Meier-Braun ist Mitbegründer des Migrations- und Integrationsforums Baden-Württemberg (www.mif-bw.de) 2021 wurde er für sein Engagement in der Integrationsarbeit mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
 

 

Bild zur Meldung: Nachbericht Vortrag Festsitzung des Patenschaftsrates

   Flyer 2025